Marcel Wittkuhn

Leben ohne dich

31.07.2010:

Nachmittags haben Oma und Opa Marcel bei uns abgeholt und sind zur Kirmes gefahren. Er hat alle Fahrgeschäfte besucht und Zuckerwatte genascht. Er war fit, aktiv und fröhlich wie alle ihn kannten,- einfach so wie immer. Zum Abend wollte er gerne bei den Großeltern übernachten und wir haben die Gelegenheit genutzt und sind mit Freunden essen gegangen.

01.08.10

Heute ist die große Party von seiner anderen Oma. Oma Renate wird 70zig und wir sind alle zum Brunch eingeladen. Gegen 08.00 Uhr jedoch riefen Oma und Opa an, dass Marcel Fieber hat. Wir haben noch gesagt, ist ja typisch: Wochenende und Familienfeier - muss ja einer krank werden. Ich glaube das kennen alle Eltern nur zu genau.

War nichts Neues. Also mit Fiebersaft zur Oma gedüst, wir sind ja vorbereitet. Es hat keine halbe Stunde gedauert, das Fieber war gesunken und Marcel fragte wann denn die Party endlich losgeht.

Um 11.00 Uhr waren alle wie geplant beim Brunch, gut gelaunt, topfit und Marcel in Bestform. Mit seinen Cousins und Cousinen auf dem Spielpatz der Gaststätte getobt oder am Stammtisch UNO gespielt.

Auch das Essen war sehr lecker. Gegen 14.00 Uhr jedoch kam das Fieber zurück und der Fiebersaft brauchte deutlich länger bis er wirkte. Das war uns schon komisch. Dazu noch starke Kopfschmerzen und zwischendurch tat der Bauch ein bisschen weh.

Die üblichen Tests der Krankenschwestern aus der Verwandtschaft ließen aber nicht auf Blinddarmentzündung schließen. Die Beschwerden ließen kurz darauf auch wieder nach und Marcel hat dann in der Nacht auch gut geschlafen.

02.08.10:

Marcel hat erhöhte Temperatur aber ein Toast mit Nutella geht immer. Da wir doch sehr beunruhigt waren, weil das Fieber ungewöhnlich schnell zurück kam und das Medikament nicht so wirkte wie gewohnt waren wir um 11.00 Uhr beim Kinderarzt. Diagnose: Sommergrippe mit Kopf - und Bauchschmerzen ! Wenn es in 3-4 Tagen nicht besser ist kommen sie nochmal wieder.

Über den Tag versuchten wir dann das Fieber in den Griff zu kriegen. Mal mit Medizin , dann mit Wadenwickeln und anderen Hausmitteln. Gegen 22.00 Uhr klagte Marcel erneut über Bauchschmerzen und wir fuhren in die Kinder - Notfallklinik in Essen.

Als wir an der Reihe waren ging es unserem Schatz schon wieder gut. Kaum Fieber, überhaupt keine Bauchschmerzen und Marcel wollte eigentlich nach Hause.

Die Untersuchung und auch die Urinprobe waren ohne Befund und so fuhren wir dann wieder heim.

Die nächsten Tage besserte sich sein Zustand jedoch nicht. Wir waren mehrmals im telefonischen Kontakt mit dem Kinderarzt und am Donnerstag wieder in der Praxis.

05.08.10:

Marcel ist sehr geschwächt. Kein Wunder. Er hat wenig gegessen und ständig Fieber. Nach gründlicher Untersuchung, Labor Untersuchung des Urins, Ultra - Schall und Abstrich der Mundschleimhaut stellte der Arzt eine leichte Infektion mit Streptokokken fest.

Wir haben Antibiotikum bekommen und geglaubt jetzt wird es besser. Wenn das Medikament anschlägt ist Marcel bald wieder fit! Es sollte alles anders kommen.

In der folgenden Nacht hat die arme Maus nicht schlafen können. Er musste ständig zur Toilette und bekam in den frühen Morgenstunden noch Durchfall. Er hat sich noch entschuldigt, dass er Mama und Papa nicht schlafen lässt, aber er hat es nicht aus eigener Kraft aus dem Bett geschafft.

Uns war klar: Wir müssen ins Krankenhaus! Auf eigenes Drängen bekamen wir beim Kinderarzt eine Einweisung in die Kinderklinik im Elisabethkrankenhaus.

06.08.10:

Dort angekommen kümmerte man sich sofort um Marcel. Ich habe mein Sohn immer wieder getröstet: Morgen wird alles gut sein, Morgen geht es dir viel besser .Er glaubte mir, ich glaubte es doch auch. Es war sehr schwer festzustellen, was genau ihm fehlt. Mehrere Ärzte haben sich beraten und vermutet, dass es doch der Blinddarm sein müsste. Dieser wurde in einer Not - OP entfernt.

Nach mehren Stunden bangen Wartens kamen zwei Ärzte mit gesenktem Kopf auf uns zu!

Ihr Sohn ist sehr viel schwerer erkrankt als alle hier für möglich gehalten haben. Er hat eine sehr schwere Sepsis durch den bereits durchgebrochenen Blinddarm erlitten. Marcel liegt auf der Intensivstation.

Sie haben versucht uns schonend beizubringen, dass du in Lebensgefahr bist. Viele Stunden saßen wir vor der Tür bis wir endlich zu dir durften. Du warst im künstlichen Koma und wurdest beatmet, aber stabil.

Wir haben mit dir gesprochen und du hast noch kurz reagiert. Gegen 23.00 Uhr waren deine Werte stabil und in einem guten Bereich, dass auch die Ärzte zuversichtlich waren und uns geraten haben Kräfte zu sammeln und ein wenig auf dem Elternzimmer zu schlafen. Du wirst Mama und Papa die nächsten 2 Tage brauchen! Wir haben dir dann gesagt, dass wir Nachts gegen 03.00 Uhr wieder kommen.

Um 02.15 Uhr wurde Mama sehr unruhig und sagte: Wir müssen zu Ihm. Ich halte es nicht mehr aus.

Heute wissen wir, du hast uns gerufen! Danke mein Sohn!

Ab 02.00 Uhr haben sich deine Werte extrem verschlechtert und du wurdest zum Transport ins Uni - Klinikum Essen vorbereitet, um mit einem anderen Beatmungsgerät behandelt zu werden. Da haben wir zum ersten Mal das Wort Leukämie gehört und wir haben dir den letzten "warmen Kuss " gegeben.

Noch vor dir waren wir im Klinikum. Papa ist über jede rote Ampel gefahren um schnell wieder bei dir zu sein. Wir waren panisch vor Angst, aber das du sterben könntest haben wir nicht geglaubt. Ein 6 jähriger Junge in Deutschland stirbt doch nicht! Dieses Mal jedoch haben wir nicht lange gewartet.

07.08.10     4 Uhr 45Min.

Du warst keine 10 Minuten auf der Intensivstation als die Ärztin zu uns kam und sagte: Wir haben mit Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen !!! Er wird es nicht schaffen. Möchten sie zu Ihm?

Was für eine Frage. Natürlich wollen wir zu dir. Wir haben geschrien und dich gerufen und dein kleines Herz hat tatsächlich nochmal kurz angefangen selbstständig zu schlagen. Für einen kurzen Moment haben die Ärzte aufgehört dich wiederzubeleben und wir alle haben in einer unglaublicher Stille auf den Monitor geschaut, dann kam wieder diese schrecklich gerade Linie.  Mama und Papa wussten du hast keine Kraft mehr, du musst gehen. Du bist nur kurz zurückgekommen um uns zu fragen ob du gehen darfst. Wir danken dir dafür. Du warst ein großartiger Sohn! Die Ärzte haben sehr lange 56Minuten um dein Leben gekämpft, aber wir wussten, du kannst nicht mehr.

Um 05.56 Uhr bist du von uns gegangen und wir sind so unendlich traurig. An diesem Tag ist unsere Welt zusammengebrochen.

5 Wochen später:

Das Ergebnis der Obduktion liegt endlich vor. Du warst im Anfangsstadium einer akuten Leukämie und genau zu diesem Zeitpunkt hat sich dein Blinddarm entzündet. Durch die fehlenden weißen Blutkörperchen konnte dein Immunsystem die Bakterien aus dem gebrochenen Blinddarm nicht bekämpfen, sodass diese sich ungehindert in deinem ganzen Körper ausbreiten konnten. Dies führte zu der schweren Blutvergiftung und letztlich zum Tode.

Du hattest nur 5 Tage Fieber und warst eigentlich nur 15 Stunden schwer krank. Dann hast du dich entschieden zu gehen.

Es tut uns so unendlich leid.

Wir werden dich immer lieben. Mama und Papa          mit ohne Marcel